Der Kampf um die «Rössli»-Treppe
Die SVP macht der FDP ihren Vordenker Josef Munzinger ein bisschen streitig. Doch die Auseinandersetzung in Balsthal verlief friedlich. Die Konkurrenten gingen sich tunlichst aus dem Weg.
Die einen trafen sich am Samstag um 8 Uhr auf der «Rössli»-Treppe zu Balsthal. Garstig war es. Nass und windig. Und so zog das Trüppchen, das sich im Grauen des Morgens eingefunden hatte, alsbald weiter. Es waren SVP-Vertreter (und zugewandte Orte), die den ersten «Munzinger-Marsch» in Angriff nahmen. Gegen Westen ging er, Richtung Solothurn. Wo einst die Obrigkeit sass (und es nach Wahrnehmung der Volkspartei immer noch tut).
Die andern kamen etwas später, gegen halb zehn Uhr. Einen Kampf um die Treppe gab es nur im übertragenen Sinn. Ganz abgesehen davon, dass die Zweiteren nicht gekommen wären, hätten die Ersteren nicht zum Marsch geblasen. Doch das wollten sich die Freisinnigen dann doch nicht bieten lassen, dass die SVP den grossen Radikalen, der vor 188 Jahren die aristokratische Herrschaft im Kanton beendet hatte, zu ihrem Bannerträger machen würde.
Er, Josef Munzinger, hatte am 22. Dezember 1830 von der Balsthaler «Rössli»-Treppe aus die Volkssouveränität proklamiert und wurde als Oltner Liberaler gleichsam zur Vaterfigur des Solothurner Freisinns. Was nicht verhindern konnte, dass sich die politischen Epigonen zwischenzeitlich um das ideelle Erbe streiten. Und dies durchaus mit Lust und Verve.
FDP-Kantonalpräsident Stefan Nünlist nahm den ihm zugeworfenen «Fehdehandschuh» denn auch mit humoristischem Unterton auf, als er in der warmen Gaststube des «Rössli» mehr als eine Hundertschaft Freisinniger begrüssen konnte. Diese taten sich am Zmorge-Buffet gütlich, ehe der Präsident den Freisinn als «bestimmende gestaltende Kraft im Kanton» feierte – und ihn zudem als «freiheitliche, gemeinsinnige und fortschrittliche» Volkspartei positionierte.
Eine Volkspartei, die «keine Ausgrenzung» betreibe, eine Volksbewegung aber auch. Dies in Anlehnung an die 2500 Liberalen, die vor bald 200 Jahren dafür sorgten, dass die Solothurner Aristokraten abtreten mussten.
Auch wenn die Freisinnigen nach dem samstäglichen Stelldichein keinen Regierungssturz planen und auch keine neue Verfassung wie jene, die 1831, weniger als einen Monat nach Munzingers historischen 17 Forderungen in Kraft gesetzt wurde, geschrieben wird: Dass es weiterhin «konstruktive Unruhe» braucht, war für die im «Rössli» versammelten Liberalen unstrittig.
Sie liessen denn auch das ganze Parteiestablishment auftreten – von Nationalrat Kurt Fluri über Regierungsrat Remo Ankli bis zu ersten freisinnigen Regierungs- und Nationalrätin Cornelia Füeg. Nicht zu vergessen den Präsidenten der Jungfreisinnigen, Philipp Eng: Er plädierte nicht von ungefähr für Meinungswettbewerb nach innen und Geschlossenheit nach aussen.
Übrigens: Die Freisinnigen waren um die Mittagsstunde mit ihrer Mischung aus staatsbürgerlichem Frühstück und liberaler Volkshochschule mit schmissiger Dixieland-Begleitung fertig. Derweil kämpfte die SVP am Jurasüdfuss immer noch um jeden Meter.
Am frühen Nachmittag war es dann aber so weit: Die hart auf die Probe gestellte Truppe traf in der «Couronne» ein. Historisch angemessener wäre die Réunion zwar im Palais Besenval gewesen, das die Söhne des damals reichsten Solothurners und Schultheissen Johann Viktor I. errichtet hatten – doch das Palais ist über die Feiertage geschlossen. So war der Ort der physischen Stärkung und geistigen Festigung der auf Munzingers Spuren wandelnden SVPler die nicht minder repräsentative «Krone».
Nach Verabschiedung und Unterzeichnung ihres Munzinger-Manifests schritten sie schliesslich zur finalen Tat: Das Dokument wurde ganz unspektakulär in den Rathaus-Briefkasten eingeworfen. Frei nach dem Motto: «Munzinger ist Allgemeingut, Munzinger ist zeitlos. Munzinger gehört all jenen, die sich glaubwürdig und ernsthaft mit seinen Werten, seinen Zielen und seinen Forderungen identifizieren», wie es in der Einleitung des Manifests heisst.
FDP-Präsident Nünlist hatte es Stunden zuvor im «Rössli» gleich und doch anders gesagt: «Der Umgang mit dem, was 1830 geschah, ist eine Frage der geistigen Haltung.» Affaire à suivre.